
Ethikberatung im Evangelischen Krankenhaus Paul Gerhardt Stift
Die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten werden immer vielfältiger. Durch den Fortschritt der modernen Medizin rücken ethische Fragen bei Ärzten, Pflegenden, Patienten und Angehörigen in den Vordergrund. Denn nicht jede medizinisch mögliche Behandlung ist für den einzelnen Patienten im gleichem Umfang sinnvoll und von Nutzen. Insbesondere Situationen, bei denen es um Leben und Tod geht, stellen sowohl Patienten und Angehörige als auch Mediziner und Pflegende vor schwierige Entscheidungen.
Eine ethisch besonders schwierige Situation ist gegeben, wenn der Wille des Patienten – oft trotz vorhandener Patientenverfügung – nicht eindeutig festzustellen ist. Ein Patient hat beispielsweise verfügt, dass er keine lebensverlängernden Maßnahmen wünscht. In der konkreten Situation sieht die medizinische Prognose aber danach aus, dass er sich durch den kurzfristigen Einsatz einer solchen Maßnahme erholt und ein lebenswertes Leben führen kann. Hier stehen Ärzte, Pflegende und Angehörige vor der schwierigen Entscheidung: Was ist der Wille des Patienten auf die konkrete Problematik bezogen? Hat er eine solche Situation gemeint, als er verfügt hat, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten?
Im Evangelischen Paul Gerhardt Stift besteht in einem solchen Fall die Möglichkeit das Ethikkomitee anzurufen, um eine ethische Fallbesprechung durchzuführen.
Ethikberatung / ethische Fallbesprechung
In einer Situation, in der ein Patient selbst nicht mehr seinen Willen klar artikulieren kann, müssen dafür autorisierte Menschen den mutmaßlichen Patientenwillen herausfinden. Dabei führt die Entscheidung ethischer Fragen fast immer in eine Dilemmasituation.
Eine ethische Beratung unterstützt Ratsuchende (Patienten, Angehörige, Mitarbeiter des Hauses) in einer solchen Konfliktsituation. Ethikberatung bringt alle an der Behandlung Beteiligten an einen Tisch. Die Situation in ihrer gesamten Komplexität wird in einem gemeinsamen Gespräch, an dem Vertreter aus verschiedenen Fachdisziplinen teilnehmen, durchdacht und beleuchtet. Die Einschätzung und Bewertung aller zu bedenkenden Aspekte hat die beste Vorgehensweise für den Patienten zum Ziel.
Ethikberatung trägt dazu bei, gemeinsam Lösungen zu finden, die von allen Beteiligten mitgetragen und verantwortet werden können.
Bei der Beurteilung eines ethischen Falls wird die konkrete pflegerische und medizinische Versorgungssituation in den Blick genommen. Alle am Fall beteiligen Professionen geben ihre Sicht auf den Fall wieder. Der mutmaßliche Wille des Patienten wird auf diese Weise möglichst objektiv ermittelt. Ein wesentlicher Aspekt ethischer Beratung ist ihre interdisziplinäre Sichtweise. Dabei steht die Frage im Vordergrund: Was ist aus pflegerischer, ärztlicher, sozialer, seelsorglicher und juristischer Sicht das Beste für den Patienten?
Durch die Multiperspektivität der unterschiedlichen Sichtweisen werden verschiedene Möglichkeiten für ein weiteres Vorgehen unter ethischen Gesichtspunkten aufgedeckt. Der Blick auf die Situation weitet sich und den Beteiligten wird geholfen, eine unter ethisch-moralischen Aspekten „gute Entscheidung“ zu treffen.
Ziel der Beratung ist immer ein Konsens aller Beteiligten. Ethikberatung ist ein Prozess - wenn nötig, finden auch mehrere Gespräche statt, um alle Aspekte zu beleuchten.
Die Ethikberatung entscheidet nicht über das weitere Vorgehen. Die Empfehlung des Ethikkomitees ist rechtlich nicht bindend. Ethischen Fallbesprechungen haben immer nur beratenden Charakter - die tatsächliche Entscheidung über das weitere Vorgehen liegt auf der medizinischen Ebene bei den behandelnden Ärzten, auf der persönlichen Ebene bei den Angehörigen bzw. gesetzlichen Vertretern.
Die Ethikberatung kommt insbesondere bei Fragen am Lebensende ins Spiel. Themen sind hier zum Beispiel der Einsatz von lebensverlängernden Maßnahmen. Auch eine Änderung des Therapieziels ist häufig Gegenstand der Beratung: Soll eine mögliche Heilung des Patienten weiter das Ziel sein oder ist eine rein palliative, also in erster Linie symptomlindernde Behandlung, für die Lebensqualität und die Zufriedenheit des Patienten dienlicher?
Nachdem eine Anfrage für eine Fallbesprechung bei einem Mitglied des Ethikkomitees eingegangen ist, verständigen sich die erreichbaren Mitglieder des Ethikkomitees über das weitere Vorgehen. Entweder wird der Fall direkt vor Ort besprochen oder retrospektiv im Ethikkomitee nachreflektiert.
Wird eine ethische Fallbesprechung anberaumt, versammeln sich Mitglieder des Ethikkomitees zeitnah auf der Station, von der die Anfrage kam. An der Fallbesprechung nehmen möglichst alle an der Versorgungsituation beteiligten Professionen teil.
Oberste ethische Maxime ist die Geltendmachung des Patientenwillens vor dem Hintergrund der medizinischen Situation. Kann der Patient/die Patientin diesen nicht mehr äußern, muss der mutmaßliche Patientenwille erhoben werden. Hierbei werden Betreuungsvollmachten, Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen beachtet und die Angehörigen beteiligt.
Alle Gespräche finden selbstverständlich vertraulich und unter ärztlicher Schweigepflicht statt.
Ethikkomitee
Das Ethikkomitee ist eine Organisationsform der Ethikarbeit. Es setzt sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglichst vieler verschiedener Berufsgruppen und Arbeitsbereiche zusammen. Unabdingbar für die Arbeit des Ethikkomitees ist die Mitwirkung von Pflegenden, Ärzten, des psychosozialen Netzwerkes und eines Theologen/ Seelsorgers. Die Mitglieder es Ethikkomitees sind in der Moderation ethischer Fallbesprechungen geschult und haben an der Fortbildung Ethikberatung teilgenommen.
In regelmäßig stattfindenden Treffen (jeder 3. Dienstag im Monat jeweils von 15:00 -17:00 Uhr) besprechen die Mitglieder des Ethikkomitees die auftauchenden ethischen Fragen in der täglichen klinischen Arbeit.
Durch unterschiedliche Perspektiven der verschiedener Berufsgruppen und Hierarchien soll eine möglichst ausgewogene und fundierte Handlungsempfehlung gefunden werden. Es soll in schwierigen klinischen Entscheidungssituationen dazu beitragen, die für den Patienten beste Behandlungsentscheidung zu wählen.
Das Ethikkomitee hat drei wesentliche Aufgabenbereiche:
- Ethikberatung
Die Mitglieder des Ethikkomitees bringen bei ethischen Fragestellungen, die sich bei der Versorgung der Patienten ergeben, alle an der Behandlung Beteiligten – inklusive Patienten oder Angehörigen – an einen Tisch und besprechen den Fall aus ethischer Sicht. Falls nötig können auch externe Experten wie z.B. Juristen zu der Besprechung hinzugezogen werden. Ziel der Gespräche ist ein Konsens über das weitere Vorgehen. - Entwicklung von Handlungsempfehlungen
Das Ethikkomitee entwickelt zu häufig wiederkehrenden ethischen Fragestellungen (z.B. Umgang mit Patientenverfügungen, künstlicher Ernährung am Lebensende) allgemeine Handlungsempfehlungen. - Sensibilisierung der Mitarbeitenden zu ethischen Themen
Unabhängig von den Fallbesprechungen in der Ethikberatung bieten die Ethikkomitees niederschwellige Schulungen und Gesprächsrunden an. Hier können Mitarbeitende allgemeine ethische Aspekte des Berufsalltags mit den Ethikberatern besprechen.
Das Ethikkomitee steht Mitarbeitenden, Patienten und Angehörigen durch Gesprächsangebote und Beratung bei ethischen Fragestellungen zur Seite, die sich bei der Versorgung der Patienten ergeben.
Das Ethikkomitee ist nicht zu verwechseln mit der klinischen Ethikkommission. Diese beurteilt Forschungsvorhaben im Rahmen von Arzneimittelstudien nach strengen ethischen Kriterien.
Bildung, Begleitung, Öffentlichkeit – die drei Säulen der Ethikarbeit in der Paul Gerhardt Diakonie
In der Paul Gerhardt Diakonie wurde ein eigenes Modell für die Ethikberatung in einem diakonischen Gesundheitsunternehmen entwickelt. Diese fußt auf den drei Säulen Bildung, Begleitung und Öffentlichkeit. Konkret bedeutet dies: Wir bieten unseren Mitarbeitern eine einheitliche qualifizierte Ausbildung zum Ethikberater, die Ethikkomitees werden von externen Experten begleitet und wir stellen intern wie extern eine Öffentlichkeit für die Ethikarbeit in unserem Unternehmen her. Mehr
Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung
Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung sind dann wichtig, wenn Sie selbst nicht mehr in der Lage sind, Ihre Angelegenheiten zu regeln. Dieser Fall tritt zum Beispiel dann ein, wenn Sie im Koma liegen oder an einer Demenzerkrankung leiden.
Patientenverfügung
In einer Patientenverfügung legen Sie fest, was medizinisch für Sie getan werden soll, wenn Sie selbst nicht mehr entscheiden und einwilligen können: Welche medizinischen Eingriffe und Maßnahmen sind von Ihnen ausdrücklich erwünscht? In welchem Fall sollen medizinische Maßnahmen (wie z.B. Wiederbelebung oder künstlicher Ernährung) unterlassen werden?
Eine Patientenverfügung ist für alle an Ihrer Behandlung Beteiligten – Ärzte, Pflegende, Angehörige, rechtliche Betreuer oder Gerichte – verbindlich, wenn Ihr Wille in der konkreten Behandlungssituation klar erkennbar ist. Deshalb ist es wichtig, dass Sie möglichst konkret formulieren. Die Patientenverfügung bietet auch die Möglichkeit, Ihre Wertvorstellungen, Ängste und Ihre Haltung zum Leben und Sterben schriftlich festzuhalten. Diese Aspekte Ihrer Persönlichkeit können dem Behandlungsteam wichtige Hinweise auf Ihren Willen liefern. Auf den Seiten des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz finden Sie wichtige Hinweise und konkrete Formulierungshilfen für eine Patientenverfügung.
Die Patientenverfügung sollte schriftlich verfasst und eigenhändig von Ihnen unterschrieben werden. Sie können Sie zusätzlich notariell beglaubigen lassen – für ihre Wirksamkeit ist dies jedoch nicht notwendig.
Vorsorgevollmacht
Mit einer Patientenverfügung legen Sie fest, was im Falle, dass Sie nicht mehr selbst bestimmen können, gemacht werden soll. Durch eine Vorsorgevollmacht bestimmen Sie, wer in einem solchen Fall für Sie entscheiden und handeln darf. Dies bezieht sich nicht nur auf medizinische Entscheidungen, sondern auch auf die Verwaltung Ihres Vermögens oder die Vertretung in rechtlichen Belangen. Ehepartner oder eigene Kinder sind nicht automatisch bevollmächtigt, Sie zu vertreten. Auch nächste Angehörige müssen explizit durch Sie bevollmächtigt werden.
Wählen Sie eine Person aus Ihrem Umfeld aus, zu der Sie absolutes Vertrauen haben. Am besten besprechen Sie vorab mit demjenigen, ob er bereit ist, Sie zu vertreten. Sprechen Sie mit ihm über Ihre Wünsche und Vorstellungen. Der Bevollmächtigte sollte im Ernstfall gut zu erreichen sein und beispielsweise nicht weit entfernt von Ihrem eigenen Wohnort zu Hause sein.
Haben Sie keinen gesetzlichen Vertreter benannt, leitet das zuständige Gericht ein Verfahren ein, um einen gesetzlichen Betreuer zu bestimmen.
Betreuungsverfügung
Wenn Sie niemanden haben, der für eine Vorsorgevollmacht in Frage kommt – z.B. weil Ihre Verwandten alle zu weit entfernt wohnen – kann eine Betreuungsverfügung für Sie sinnvoll sein. Ist niemand als Bevollmächtigter eingesetzt, springt normalerweise der Staat ein: das Betreuungsgericht bestimmt dann einen rechtlichen Betreuer. In einer Betreuungsverfügung können Sie Ihre Vorstellungen über das Leben und das Lebensende darlegen: Sind Sie religiös? Mit welchen Angehörigen und Freunden wünschen Sie regelmäßigen Kontakt? Welche Aktivitäten sind Ihnen in Ihrem Alltag wichtig? Sollte lieber ein Mann oder eine Frau die Betreuung übernehmen?
Diese Informationen helfen dem Gericht, einen Betreuer für Sie auszusuchen. Ein fremder Betreuer kann sich ein Bild von Ihnen machen, um möglichst in Ihrem Sinne zu handeln.
Eine Betreuungsverfügung empfiehlt sich sogar dann, wenn Sie eine Vorsorgevollmacht haben: Bei Ehepartnern kann nur derjenige die rechtliche Vertretung übernehmen, der noch nicht hilfsbedürftig ist. Kommt dieser später oder sogar gleichzeitig in die Situation, auf Hilfe angewiesen zu sein, kann eine Betreuungsverfügung den rechtlichen Rahmen regeln.
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